back
 

DARSTELLUNG DER QUELLE. GRUNDSÄTZLICHES ZUR EDITION.

Gertrude Enderle-Burcel
 

I. AUFBAU UND INHALTE DER MINISTERRATSPROTOKOLLE

Die vorliegende Aktenedition gibt im vollen Wortlaut die Äußerungen der Mitglieder der Regierungen Österreichs der Ersten Republik, fallweise auch deren Mitarbeiter wieder, wie sie in den Protokollen der von der Verfassung vorgesehenen offiziellen Beratung schriftlich fixiert wurden.

Nach der Aufhebung des durch die provisorische Verfassung am 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 1, eingesetzten Staatsrates mit dem Gesetz vom 14. März 1919, StGBl. Nr. 180, wurde die Regierungsgewalt dem Kabinettsrat übertragen, der aus den Mitgliedern des Kabinetts - Staatskanzler, Vizekanzler und mit der Leitung der einzelnen Ressorts betraute Staatssekretäre - bestand.

Mit der Inkraftsetzung der Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, BGBl. Nr. 1 vom 10. November 1920, erhielten die Regierungsmitglieder neue Titel. Die Staatssekretäre wurden in Bundesminister umbenannt, der Staatskanzler in Bundeskanzler, während der Titel Vizekanzler bestehen blieb. Entsprechend dazu wurde für die gemeinsamen Sitzungen der Regierungsmitglieder die Bezeichnung Ministerrat eingeführt.

Bei den Beschlüssen des Ministerrates sind zwei Hauptgruppen zu unterscheiden, die an der Formulierung der Beschlußfassung erkennbar sind. Die eine Gruppe enthält Sachverhalte, die dem Ministerrat verfassungsgemäß zur Beschlußfassung zugewiesen werden mußten, wobei die Formulierung der Beschlußfassung "Genehmigt" lautet, während die zweite Gruppe, erkennbar an der Klausel "Zur Kenntnis genommen", die Zustimmungskundgebung zu den von den einzelnen Ressortministern dem Ministerrat zur Kenntnis gebrachten Informationen umfaßt.

Außer der Erledigung im Ministerrat selbst gab es noch die verfassungsrechtlich umstrittenen Beschlüsse mittels Zirkularen, also Ministerratsbeschlüssen, die nicht in einer gemeinsamen Sitzung des Ministerrates, sondern durch ein Rundschreiben zustande kamen.

Der Aktenbestand umfaßt 77 Staatsratssitzungen, 36 Kabinettsratssitzungen und 1071 Ministerratssitzungen. Auf Grund der Ereignisse vom 25. Juli 1934 waren bis 1987 von der 955. und 956. Sitzung des Ministerrates keine Protokolle vorhanden, wenngleich die Nummern ausgespart worden waren. Das Konzeptfragment der 956. Sitzung und die Stenogramme der Ministerratsprotokolle 956 und 957, verfaßt von Legationsrat Alfred Schmid, konnten aber aus einem Nachlaß angekauft werden.

Aus Gründen der Vertraulichkeit wurde im Laufe der Zeit die Vervielfältigung und Versendung der Ministerratsprotokolle eingestellt. Einschließlich der 320. Sitzung (16. April 1924) liegen die Ministerratsprotokolle gedruckt vor. Ab Ministerratsprotokoll 321 wurde nur mehr eine einzige Reinschrift des Verhandlungsprotokolls angefertigt. Nur die Ergebnisse der Verhandlungen, die Ministerratsbeschlüsse, wurden als "Beschlußprotokolle" an die interessierten Stellen, vor allem an die Minister, versandt. Selbst der Bundeskanzler erhielt das Verhandlungsprotokoll nicht mehr zur Einsicht.

Außer der endgültigen Fassung des Ministerratsprotokolls mit den von den einzelnen antragstellenden Ministern bereitgestellten Beilagen, die nur teilweise die Bezeichnung Beilagen tragen, sind noch eine Reihe von Bestandteilen erhalten. In der Reihenfolge ihrer Entstehung handelt es sich dabei um die in Gabelsberger Stenographie abgefaßten Mitschriften, das darauf aufbauende maschinschriftliche Konzept sowie das Konzept und die Reinschrift des Beschlußprotokolls und die beiliegenden Personalanträge, die meist vor der Ministerratssitzung in einer Personalsitzung gesondert beraten wurden (siehe die Geschäftsordnung des Kabinettsrates, Kabinettsratsprotokoll 115 vom 18. Oktober 1919). Diese Personalanträge scheinen weder in der Tagesordnung noch in der Verhandlungsschrift auf. Zu diesen Personalangelegenheiten sind ab 1933 eigene "Nachschlagebücher über den Einlauf zum Ministerrat" vorhanden, die Namensregister der in dieser Sitzung behandelten Personen enthalten. Für die Jahre vor 1933 konnten Bücher für Personalangelegenheiten nicht festgestellt werden. Die Personalangelegenheiten sind auch nicht in den Indexbänden zu den Ministerratsprotokollen verzeichnet.

In der nicht bei allen Protokollen vorhandenen Tagesordnung scheinen die Anträge der einzelnen Minister nach Ressorts getrennt auf, allerdings fanden nicht alle eingebrachten Tagesordnungspunkte im Ministerratsprotokoll ihren Niederschlag, da, wie stenographische Zusätze in der Tagesordnung erkennen lassen, einzelne Punkte zurückgestellt wurden, ohne daß die Gründe für diese Zurückstellung aus dem Protokoll erkennbar sind.

Der Einlauf, in dem Personalangelegenheiten der einzelnen Ministerien (von der Einrichtung neuer Dienstposten bis zur Verleihung von Ehrenzeichen) aufgelistet sind, ist ebenfalls nach Ressorts aufgeschlüsselt. Teilweise liegen noch sogenannte Dienstzettel über die Erledigung des Einlaufes vor. Zum Teil sind auch Präsenzlisten beigeschlossen, die aber nicht bei allen Protokollen erhalten sind.

Mit der Ausschaltung des Parlamentes am 4. März 1933 kam es auch zu Veränderungen im Hinblick auf den Ministerrat. So veranlaßte eine Mehrheitsparteienbesprechung am 25. März 1933, in der sich Vizekanzler Franz Winkler auf die im Ministerrat zur Frage gestellte Auflösung des Republikanischen Schutzbundes bezieht, Walter Goldinger zu der Annahme, daß der Gegenstand im Ministerrat außerhalb der Tagesordnung behandelt worden sei, da das Ministerratsprotokoll 860 über die Sitzungen am 18., 19. und 21. März nichts darüber enthält. Im Ministerrat vom 21. April 1933 wurde die Sitzung um 10 Uhr 45 ausdrücklich (und das, obwohl die Ministerratssitzungen grundsätzlich geheim waren) für geheim erklärt und um 11 Uhr 30 wieder eröffnet.

Das Bundesgesetz zur Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes wurde am 23. Mai 1933 ohne Ministerratssitzung beschlossen. Der dazugehörige handschriftliche Akt liefert die Erklärung dieses Vorganges: „Beschlußfassung des Ministerrates betreffend die Neuordnung des Verfassungsgerichtshofes. Ich ersuche um die dringlichste Behandlung der Angelegenheit. Ich und der Herr Vizekanzler haben den beiliegenden Verordnungsentwurf genehmigt. Die näheren Erläuterungen wird Sektionschef Dr. Hecht erteilen. Dollfuß. Wien am 25/5 33." Der Akt beinhaltet noch die genehmigenden Unterschriften der Regierungsmitglieder, außer der des Vizekanzlers Winkler. Die angeführten Beispiele zeigen die lockere Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen. Band 3, Abteilung VIII der Protokolle des Ministerrates verdeutlicht auch, daß immer häufiger Material zu den verschiedensten Gegenständen ohne entsprechenden Tagesordnungspunkt dem Ministerratsprotokoll beiliegt. Inwieweit dieses Material außerhalb der Tagesordnung geheim oder gar nicht behandelt wurde, kann nicht beurteilt werden. In Band 2, Abteilung IX der Protokolle des Ministerrates, gibt Punkt 4 des Ministerratsprotokolles 976 vom 6. Dezember 1934 Aufschluß über den Ablauf der Sitzungen unter Bundeskanzler Schuschnigg. Der Bundeskanzler stellte den Antrag, daß nur jene Gegenstände auf die Tagesordnung des Ministerrates kommen sollten, zu denen das erforderliche Material den Ressorts bis zu Mittag des der Sitzung vorangehenden Tages zugekommen sei. Bundeskanzler Schuschnigg hielt sich aber gleichzeitig die Möglichkeit offen, mit Zustimmung des Ministerrates auch andere Gegenstände außerhalb der Tagesordnung zur Verhandlung zu bringen. Bundesminister Fey sprach von Verbindungssitzungen und regte an, diese jeweils 48 Stunden vor dem Ministerrat abzuhalten. Das Stenogramm gibt dazu noch weiteren Aufschluß: „Die Zeit ist riesig kurz. Man bekomme [...] nachmittag oder abends erst am Tag des Ministerrates die Tagesordnung. Es ist unmöglich, die Sachen nur durchzulesen oder sich mit der Materie vertraut zu machen. Man soll einen größeren Zwischenraum haben."

Punkt 4 des Ministerratsprotokolls 987 zeigt einen weiteren Versuch von Bundeskanzler Schuschnigg, den Ablauf der Ministerratssitzungen zu ändern. Er kündigte an, „die ordentlichen Sitzungen des Ministerrates möglichst nur alle 14 Tage abhalten zu wollen." Lediglich die Bundesminister für soziale Verwaltung, für Handel und Verkehr, für Auswärtige Angelegenheiten, für Land- und Forstwirtschaft, für Finanzen und für Inneres (Generalstaatskommissär) sollten einmal pro Woche zusammentreten, um Angelegenheiten mit vorwiegend wirtschaftlicher Bedeutung zu beraten. Der Anregung von Bundeskanzler Schuschnigg wurde allerdings in weiterer Folge nicht entsprochen, wenngleich die Ministerratssitzungen etwa ab 1936 weniger häufig stattfanden.
 

II. PROBLEME DER EDITION

Die Ministerratsprotokolle der Ersten Republik weisen ein breites Spektrum auf. Probleme der Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik wurden in zum Teil sehr offener Form von den Regierungsmitgliedern beziehungsweise von den zugezogenen Fachreferenten behandelt. Interessensgegensätze oder -übereinstimmungen zwischen den Mitgliedern der Regierung und der Diskussionsstand zu einzelnen Problemen können an Hand der Protokolle verfolgt werden, aber auch Routineangelegenheiten fanden ihre Erledigung im Ministerrat. Die Ministerratsprotokolle verdeutlichen die Haltung, Einstellungen und Zielvorstellungen der verschiedenen österreichischen Regierungen bei politischen Entscheidungsprozessen, die auf anderen Ebenen oft nur schwer beziehungsweise gar nicht nachzuvollziehen sind. Dies zeigt sich anhand der Protokolle selbst, da den Querverweisen auf Parteienverhandlungen oder -vereinbarungen, auf Interessenvertretungen oder etwa auf Ministerkomitees, die zur Lösung verschiedenartigster Probleme vom Ministerrat eingesetzt worden waren, kaum zielführend nachgegangen werden kann. Die Archive der Parteien und Interessenvertretungen, soweit sie zugänglich sind, befinden sich nicht in einem Zustand, der ein gezieltes Arbeiten für Historikerinnen und Historiker in diesen Bereichen ermöglicht. Auch die Sitzungsprotokolle der Ministerkomitees etwa sind großteils nicht vorhanden.

Erst im Zuge der Vorbereitung für den Band 3, Abteilung VIII der Protokolle, wurden bei der Quellensuche für eine andere wissenschaftliche Arbeit Akten gefunden, die Aufschluß über die formale Vorgangsweise bei der Einberufung zu den Ministerkomitees geben. In einem Rundschreiben wurden alle Mitglieder des Ministerkomitees (im speziellen Fall handelte es sich um ein wirtschaftliches Komitee) unter Angabe von Ort, Zeit und Tagesordnungspunkten schriftlich eingeladen. Es wurde eine genaue Anwesenheitsliste geführt. Aus der den Akten beiliegenden Korrespondenz geht hervor, daß sich einzelne Interessenten direkt an den Vorsitzenden des Wirtschaftskomitees gewandt hatten und sich über die Tagesordnung im Wirtschaftskomitee unterrichtet zeigten.

Im Haus-, Hof- und Staatsarchiv wurde im Bestand „Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, Abteilung 14 HP, Wirtschaftspolitik“, der sich jetzt im Archiv der Republik befindet, erstmals ein geschlossener Bestand von Ministerkomiteesitzungen gefunden. Dieses Wirtschaftliche Ministerkomitee beschäftigte sich ausschließlich mit handelspolitischen Fragen. In den Einleitungen zu den Ministerratsprotokollen der Regierungen Dollfuß wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß außenpolitische und handelspolitische Fragen wenig Niederschlag in den Protokollen gefunden hatten. Hinweisen auf das Ministerkomitee zur Behandlung aller mit den Handelsvertragsverhandlungen zusammenhängenden Fragen konnte bis zu diesem Aktenfund nicht nachgegangen werden.

Das betreffende Ministerkomitee wurde, wie aus einer den Akten beiliegenden Liste hervorgeht, am 17. November 1931 eingesetzt. Die letzte Sitzung stammt aus dem September 1937. Die erste Sitzung beginnt ohne Erklärung über das neue Diskussionsforum. Auch über das Ende der Sitzungen gibt es noch keinen Hinweis.

1936/1937 scheint aber das Ministerkomitee an Bedeutung verloren zu haben, da es durchschnittlich nur mehr einmal im Monat zusammentrat. Die Edition der Protokolle des Ministerkomitees wird drei bis vier Bände umfassen, wovon Band 1 im Manuskript vorliegt.

Bei Ordnungsarbeiten für den Umzug des Allgemeinen Verwaltungsarchivs in den Archivneubau wurde auch ein Bestand "Material/Ministerratsprotokolle" gefunden, der ca. 43 Kartons umfaßt. Die Durchsicht des Materials ergab, daß es sich dabei größtenteils um Doubletten von Beilagen zu den Ministerratsprotokollen handelt, die aber eindeutig dem Unterrichtsressort zuzuordnen sind.

Es hätte den Umfang der Edition gesprengt, wenn die den Beratungen im Ministerrat zugrunde liegenden Aktenbestände der Ministerien einbezogen worden wären. Bei Verträgen und Abkommen, die im Ministerrat behandelt worden waren, aber keine Erledigung auf parlamentarischem Weg fanden, wurde in den Archivbeständen und Urkundensammlungen des Finanzarchivs und des Archivs der Republik weiter recherchiert. Weiterverfolgt wurden auch politisch und wirtschaftlich relevante Vorgänge, deren Behandlung im Ministerrat abrupt abbricht, ebenso wurde den Hinweisen in den Protokollen auf die weitere parlamentarische Behandlung nachgegangen, wobei festzustellen ist, daß der im Ministerrat vorgelegte Gesetzesentwurf oft in geänderter Form im Nationalrat eingebracht wurde, ohne daß die abgeänderte Form noch einmal im Ministerrat behandelt worden wäre. Eine mögliche Erklärung für diese durch die Bundesverfassung nicht gedeckte Vorgangsweise bringt eine Wortmeldung von Bundesminister Dr. Anton Rintelen, die sich im Stenogramm des Ministerratsprotokolls 802 findet, in der er ein Ministerkomitee ermächtigte, einen vorliegenden Gesetzesentwurf zu redigieren, und in der er erklärte, die Vereinbarung des Ministerkomitees gelte als Beschluß des Ministerrates.
 

III. AUSWAHLKRITERIEN DER EDITION

Bei der Auswahl und Anordnung der Dokumente wurde aus dem oben beschriebenen vorliegenden Material folgendes ausgewählt:

1. Die Reinschrift des Verhandlungsprotokolls mit Beilagen

Das Protokoll stellt eine in jeder Hinsicht gereinigte und durchformulierte Niederschrift dar. Fallweise zeigen die einzelnen Protokollpunkte, daß die Formulierungen fast vollständig aus den Beilagen übernommen wurden. Einzelne, inhaltlich scharfe Formulierungen bzw. ganze Passagen und Punkte fanden aber oft keinen Eingang in das Protokoll, sodaß das Protokoll eine in jeder Hinsicht gereinigte Fassung des Stenogramms ist.

Auf Grund des oft sehr großen Umfangs der Beilagen stellte ihr Druck von Anfang an das größte Problem der Edition dar. Die Auswahl erfolgte bei den bisher erschienenen Bänden derart, daß Beilagen ohne Herkunftsort und Aktenzahl gedruckt wurden und im Text durch einen Stern (*) gekennzeichnet sind, während über die anderen Beilagen der Anmerkungsapparat Auskunft gibt. Hinterlegungs- und Herkunftsort, Aktenzahl, Art der Beilage und Angaben über Inhalt und Umfang sollen den Benützern weiterführende Informationen bieten.

Ab Band 2, Abteilung IX der Protokolle des Ministerrates wurde, zahlreichen Anregungen aus Fachkreisen folgend, aus sachlichen und finanziellen Überlegungen eine andere Form für die Wiedergabe der Beilagen gewählt. Bei jenen Beilagen, die weder Herkunftsort noch Aktenzahlen aufweisen, wird versucht, die fehlenden Angaben aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs zu eruieren. Wo dies nicht gelingt und die Beilage von außerordentlicher Bedeutung ist, wird sie gedruckt. Von allen Beilagen wird prinzipiell ein umfangreiches Regest erstellt und abgedruckt, das den Benützern in noch ausführlicherer Weise als bisher Aufschluß über Inhalt und Form der Beilage gibt.

Wie schon unter Aufbau und Inhalt der Ministerratsprotokolle erwähnt, liegen den Protokollen immer häufiger Materialien bei. Diese Materialien können oft nachfolgenden Ministerratsprotokollen zugeordnet werden bzw. sind mit entsprechenden Beilagen identisch. In diesen Fällen wird das Ministerratsprotokoll und die Beilage in den Anmerkungsapparat aufgenommen. Auf Materialien, die nicht eindeutig einem folgenden Ministerratsprotokoll zugeordnet werden können, wird genauer eingegangen.

2. Das Konzept des Verhandlungsprotokolls

Das Konzept wurde nach Aussage von Sektionschef i.R. Dr. Wolfgang Troll, dem langjährigen Schriftführer des Ministerrats, sofort nach der Sitzung niedergeschrieben. Es ist keine genaue Übertragung des Stenogramms und weist oft starke handschriftliche Korrekturen auf, die allerdings mit der Reinschrift des Protokolls übereinstimmen. Die ursprüngliche Fassung des meist maschinschriftlichen Konzepts wurde bei den ersten Bänden der Edition bei stärkeren Abweichungen gegenüber dem Protokoll im Anschluß an das Protokoll und die Beilagen abgedruckt. Ab Band 2, Abteilung IX der Protokolle des Ministerrates wurde aus sachlichen und finanziellen Überlegungen auf die Wiedergabe der oft nur geringfügigen sprachlichen Konzeptabweichungen verzichtet. Inhaltliche Abweichungen werden voll durch Ergänzungen aus dem Stenogramm erfaßt und wiedergegeben.

3. Das stenographische Protokoll

Nach den Angaben von Sektionschef Troll gibt das Stenogramm kein vollständiges und getreues Abbild der Sitzung. Von den Schriftführern (bei vielen Sitzungen waren es zwei, weshalb auch oft zwei Stenogramme vorhanden sind) wurden nur die im Zusammenhang mit der Tagesordnung stehenden Sachverhalte notiert. Unsachliche Bemerkungen und turbulente Streitgespräche fanden meist keine Aufnahme in das Stenogramm. Dennoch bringt das Stenogramm, in Gabelsberger Stenographie abgefaßt, eine Reihe zusätzlicher Informationen. Zunächst gibt es Punkte, die keinen Eingang in das Ministerratsprotokoll gefunden haben, was die unterschiedliche Durchnumerierung bei Protokoll und Stenogramm erklärt. Der Inhalt dieser Punkte ist, soweit er lesbar ist, vollständig im Anschluß an das Protokoll, die Beilagen und das Konzept unter "Zusätze aus dem Stenogramm" abgedruckt. Ebenso werden hier Hinweise auf weitere, bemerkenswert erscheinende Eigenheiten im Stenogramm vermerkt.

Vom Protokoll abweichende Zahlenangaben, zusätzliche Namen und Äußerungen oder schärfere Formulierungen des Stenogramms wurden in den ersten Bänden im Anmerkungsapparat des Protokolls, gekennzeichnet durch römische Ziffern, wiedergegeben. Um Produktionskosten zu senken, wurde der Anmerkungsapparat vereinfacht. Es gibt nur mehr Anmerkungen mit arabischen Ziffern, Anmerkungen in Kursivschrift zwischen zwei Anführungszeichen geben die Stenogrammvariante wieder. Für einzelne Punkte sind in den Stenogrammen nur Schlagworte vorhanden. Die Formulierung dieser Protokollpunkte erfolgte größtenteils aus der dazugehörigen Beilage. Ein Vergleich der bisher erschienenen Bände der 20er und 30er Jahre zeigt einen wesentlichen Unterschied im Verhältnis Stenogramm-Protokolltext. Die Abweichungen zwischen den Stenogrammen und dem ausformulierten Protokolltext sind in den 20er Jahren wesentlich größer als etwa zu Zeiten der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg.
 

IV. ANORDNUNG DER DOKUMENTE

Die Anordnung der Dokumente erfolgt chronologisch. Die thematische Aufschlüsselung der oft vielgliedrigen Protokolle leistet das Register. Der Kopf des Protokolls gibt Aufschluß über den Tag der Sitzung, die Anwesenheit der Minister, den Vorsitz, den oder die Schriftführer, zugezogene Referenten und die Dauer der Sitzung. Über Ressortzugehörigkeit oder Funktion der zugezogenen Referenten gibt das Personenregister Auskunft. Die Zeitangabe erfolgt nach moderner Schreibweise, also "18 Uhr" statt "6 Uhr abends". Außerdem sind noch Hinweise auf das Vorhandensein von Reinschrift, Konzept, Stenogramm und unterfertigter Präsenzliste, sowie die Übersicht über den Inhalt des Protokolls angeführt. Die Überschrift bei den einzelnen Punkten des Protokolls, die mit der Inhaltsangabe übereinstimmt, entfällt aus Gründen der Raumersparnis. An die Protokolle schließen nach den bereits dargestellten Auswahlkriterien Beilagen, Materialien oder Zusätze aus dem Stenogramm an.

Über die im Zirkularweg zustande gekommenen Ministerratsbeschlüsse, soweit sie von politischer Bedeutung sind, gibt ein chronologisches Verzeichnis einen Überblick. Konzept und Reinschrift des Beschlußprotokolls wurden in der Edition nicht berücksichtigt, da bei den einzelnen Punkten des Protokolls der Beschluß des Ministerrats erkennbar ist. Der Einlauf, der sich mit Personalangelegenheiten beschäftigt, wurde ebenso nicht in die Edition aufgenommen wie die Tagesordnung und die Präsenzliste, da am Beginn eines jeden Protokolls Aufschluß über die Anwesenheit in der Sitzung gegeben wird.
 

V. DRUCKTECHNISCHE ERLÄUTERUNGEN

Im Text wurden offensichtliche Schreib- und Zeichensetzungsfehler bereinigt. Sprachliche Unebenheiten wurden belassen und durch {sic!} gekennzeichnet. Da die Reinschrift der Ministerratsprotokolle eine korrigierte Fassung darstellt, sind verschiedene textkritische Anmerkungen notwendig. Die Vielzahl der verschiedenartigen, oft sehr speziellen Sachverhalte bedurfte eines erläuternden und ergänzenden Kommentars, der sich im Anmerkungsapparat findet.

Außer den erläuternden und ergänzenden Kommentaren wurden in den Anmerkungsapparat aufgenommen: Hinterlegungs- und Herkunftsort und Aktenzahl der Beilagen, sowie Art und Umfang der Beilage mit einer umfangreichen Inhaltsangabe; Auflösungen von Abkürzungen; Identifizierung der Persönlichkeiten, die im Text nur ihrer Stellung nach bezeichnet sind; Richtigstellungen von in den Textvorlagen unbemerkt gebliebenen Irrtümern; Verweise auf in Sinn- und Zeitzusammenhang stehende Ministerratsprotokolle; Reichsgesetz- und Bundesgesetzblätter; im Text erwähnte Zeitungsartikel; Hinweise auf Nationalratssitzungen und Ausschußprotokolle; Verweise auf weiterführende Aktenbestände.

Historische Darstellungen und wissenschaftliche Kontroversen wurden in den Kommentar nicht einbezogen. Der Anmerkungsapparat soll keine Geschichtsdarstellung leisten, sondern vielmehr durch seine Erläuterungen und Ergänzungen den Benützern das Verständnis erleichtern und weitere Forschungsmöglichkeiten aufzeigen.